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Im Ultraleicht zu Fliegeruhren-Herstellern: Zwischen Cumulus und Chronos
Neun UL-Piloten sind begeisterte Freunde mechanischer Uhren. Da liegt es nahe, beides zu verbinden und auf einer „Uhr-Tour“ mit dem Flugzeug Hersteller von Fliegerchronographen zu besuchen
Dicke Nebelschwaden hängen über dem Saarland. An diesem frühen Morgen schafft es kein Sonnenstrahl, sich einen Weg durch die zähen, grauen Schichten zu bahnen. Anja Hofer und ihr Lebensgefährte Guido Grohmann, beide Chefs der Uhrenmarke Nivrel, stehen auf der Besucherterrasse des Flughafens Saarbrücken und können kaum das Vorfeld ausmachen. Auf der anderen Seite des Airports hat sich ein Fotograf postiert, doch sein Objektiv richtet sich ebenfalls auf eine Nebelwand.
Die Premiere droht zu scheitern – der Start zur „Uhr-Tour 2012“, zu der an diesem Morgen neun uhrenbegeisterte UL-Flieger vom Flugplatz Trier-Föhren aufbrechen wollen. Bernhard Heller, Jürgen Poss, Jürgen Fusenig, Herbert Theisen, Markus Voget, Ewald Klassen, Heiko Johé, Ludwig Hasenstab und Hans Adolf Traub haben sich vorgenommen, kreuz und quer durch Deutschland zu fliegen und überall dort zu landen, wo bekannte Uhrenhersteller ihren Sitz haben.
Deutsche Marken sollen es sein, deren Zeitmesser auch für Normalverdiener noch erschwinglich sind. Und: Mindestens eine klassische Fliegeruhr muss in den Kollektionen vorhanden sein. Saarbrücken wäre die erste Station. Wochenlang wurde diese Tour vorbereitet. Mit Hans Adolf „Addi“ Traub, Bernd Heller und Heiko Johé sind Routiniers mit von der Partie, die in den vergangenen Jahren mit ihren ULs schon von Worms nach Teneriffa und Istanbul geflogen sind. In Trier-Föhren, dem Startflugplatz, schaut Addi Traub nervös auf seine Fliegeruhr: Schon nach acht. Der ohnehin eng getaktete Zeitplan droht aus den Fugen zu geraten; mehr als eine Stunde Verspätung. Doch solange der Flughafen Saarbrücken unter einer Nebeldecke liegt, ist an einen Start in EDRT nicht zu denken.
Dann endlich ein erster Lichtblick: Der Himmel über der saarländischen Landeshauptstadt reißt auf. Die Piloten sind über diese Information ebenso erleichtert wie ihre geduldig wartenden Gastgeber. Um 8.45 Uhr kann die Tour also endlich beginnen – mit einem Formationsflug, den die Piloten unter Anleitung von Fluglehrer Bernd Heller an den Tagen zuvor geübt haben. Etwa eine Dreiviertelstunde später landet die blaue C 42, dann die Remos G 3, gefolgt von einem Breezer, zwei weiteren C 42 und einer Pioneer. Das Wetter sollte die Reisepläne noch viel stärker durcheinanderwirbeln.
Während sich die Gruppe in der Villa Hofer an der Saar, dem Sitz des Uhrenherstellers Nivrel, von Guido Grohmann und einem Uhrmachermeister in die Geheimnisse komplizierter mechanischer Zeitmesser einweihen lässt, meldet der Wetterbericht Gewitterfronten ausgerechnet über Bayern, der nächsten Station. Doch der erfahrene Fluglehrer und Hagelflieger Bernd Heller ist nicht aus der Ruhe bringen: „Von so ein paar Gewitterwölkchen lassen wir uns nicht beeindrucken“, beruhigt er seine Fliegerkameraden und schaut gebannt dem Uhrmachermeister weiter über die Schulter, der gerade eine Repetitionsuhr zusammenbaut.
Die neun Piloten eint die Leidenschaft für UL und Fliegeruhren
Diese Zeitmesser können sich nicht nur sehen, sondern gleichermaßen hören lassen: Auf Knopfdruck schlägt die mechanische Armbanduhr die Stunden mit einem einfachen Schlag sowie alle angefangenen Fünf-Minuten-Schritte mit einem Doppelschlag an. Repetitionsuhren gehören längst zur Spezialität des in den neunziger Jahren gegründeten Unternehmens, das seit 2011 mit dem „Horaire Aviateur“ auch eine Fliegeruhr im Sortiment hat.
Es bedarf indessen keiner Repetitionsuhr, um die Piloten an den knappen Zeitplan zu gemahnen; immerhin wollen sie an diesem Tag noch das Uhrenatelier von Günter Steinhart in Augsburg besuchen. Nach einer kleinen Stärkung geht es zurück zum Flughafen Saarbrücken. Gegen 13.30 Uhr starten die ULs und fliegen bei zunächst bestem Wetter quer über die Pfalz in Richtung Karlsruhe. Doch bereits über dem Nordschwarzwald beginnt es zu regnen, erst schwach, dann immer stärker. Von der Flugsicherung erfahren die Flieger, dass sich in der Nähe von Augsburg Gewitterzellen aufgebaut haben, Thermik und Regen nehmen gewaltig zu. Wetterexperte Bernd Heller peilt die Lage und überzeugt dann über Funk die Mitreisenden davon weiterzufliegen: „Jungs, da kommen wir durch! So fett ist diese Gewitterzelle nicht.“
Er behält recht, und nach knapp zweistündigem Flug landen alle ULs mustergültig auf dem Flugplatz Augsburg. Mit dem Taxi geht es in den Kobelweg, wo die Firma Steinhart Watches ihren Sitz hat. Bei Weißbier, Brezen und Leberkäs erzählt Inhaber Günter Steinhart, eigentlich Diplom-Ingenieur und Architekt, weshalb er heute Uhren baut: „Ich bin schon seit vielen Jahren ein leidenschaftlicher Uhrenliebhaber. Allerdings habe ich mich immer darüber geärgert, zu welchen Preisen selbst Kleinigkeiten wie Uhrenarmbänder verkauft werden. Mein Ziel war und ist es, Uhren zu einem ehrlichen Preis im Direktvertrieb anzubieten.“ Fliegeruhren spielen in der Kollektion von Günter Steinhart eine besondere Rolle.
Am nächsten Morgen: Ein strahlend blauer Himmel wölbt sich über dem Freistaat. Auch heute ist nicht an einen pünktlichen Start zu denken, denn eine der Maschinen hat eine Reifenpanne. Dank der schnellen Hilfe durch Mechaniker am Flugplatz Augsburg kann der Pneu allerdings flott gewechselt werden. Derweil fliegen die ersten Maschinen schon mal ins 19 Minuten entfernte Donauwörth, um Mogas zu tanken, in Augsburg gibt es nur das teurere Avgas. In Donauwörth versammelt, führt die weitere Route mit einem kurzen Schlenker durch Tschechien zum Flugplatz Pirna bei Dresden. So ruhig und landschaftlich beeindruckend der Flug verläuft, so holprig wird die Landung: Wegen Arbeiten auf der Graspiste müssen die Uhr-Flieger mit der Hälfte der Landebahn auskommen, und auch dieses Stück ist in schlechtem Zustand.
Mit dem Auto geht es weiter ins sächsische Uhrenmekka Glashütte. Dort werden die UL-Piloten beim Hersteller Mühle Glashütte, Nautische Instrumente erwartet. Senior-Chef Hans-Jürgen Mühle führt seine Gäste durch den Betrieb und erzählt die wechselvolle Geschichte dieses 1869 aus der Taufe gehobenen Traditionsunternehmens. Die nach der Wende neu gegründete Firma „Mühle-Glashütte GmbH Nautische Instrumente und Feinmechanik“ stellte zunächst Marinechronometer nach Glashütter Tradition mit dezentraler Sekunde sowie Schiffsuhrenanlagen her. Zwei Jahre später folgte die erste Armbanduhr mit dem Namen „Nautische Instrumente Mühle Glashütte“.
Unter Fliegern besonders begehrt ist das Modell „Global Timer“: Jede dieser auf 1111 Exemplare limitierten Uhren umkreiste an Bord eines dreistrahligen MD-11-Großraumjets von Lufthansa Cargo die Welt. Zu den „Flaggschiffen“ des Herstellers gehört ferner der in Kooperation mit den Rettungsfliegern der deutschen Marine entwickelte S.A.R.-Flieger-Chronograph. Fast drei Stunden verbringen die UL-Flieger in Glashütte, der Rest des Wochenendes gehört der nahen Landeshauptstadt Dresden: Am frühen Sonntagmorgen brechen die Flieger auf zum Heimweg, nonstop zurück von Pirna nach Trier. Bei bestem Flugwetter geht damit die erste Etappe der Uhr-Tour 2012 zu Ende.
Im Formationsflug nach Aachen-Merzbrück
Die zweite Etappe soll wenige Tages später beginnen, doch erneut spielt das Wetter nicht mit. Starke Bewölkung und leichter Regen empfangen die Piloten und ihre Begleiterinnen auf dem Flugplatz Trier-Föhren, und die Wettervorhersage macht wenig Hoffnung. Im Gegenteil: Aus dem Osten sollen im Laufe des Tages weitere Gewitterfronten aufziehen. Ausgerechnet in diese Richtung soll es aber gehen, über Aachen nach Berlin. Schon der mit 90 Minuten vergleichsweise kurze Flug von Trier nach Aachen-Merzbrück verlangt den Teilnehmern einiges an Konzentration ab.
Beim Uhrenhersteller Marcello C in Würselen gibt es eine willkommene und redlich verdiente Stärkung. Inhaber Marcell Kainz und Frau Uschi erläutern ihren Gästen die Philosophie ihrer Marke: ein eigenständiges, markantes Design bei einem fairen Preis-Leistungsverhältnis. Im Inneren der Uhren ticken ausnahmslos Schweizer Qualitätswerke. Besonders interessieren sich die Piloten allerdings für die Fliegeruhren der Modell-Reihe Scala. Weshalb hat Marcello C einen Vogel als Markenzeichen? Eine versteckte Referenz an alle Flieger? Marcell Kainz: „Nein, für mich steht der Vogel für die Umweltfreundlichkeit mechanischer Uhren.“
Als die Piloten das Atelier von Marcello C verlassen und zum Himmel blicken, beschleichen sie Zweifel, ob sie es wohl heute nach Berlin schaffen. Dort werden sie beim Uhrenhersteller Askania erwartet. Nach dem Start in Aachen verschlechtert sich das Wetter rasch; kräftiger Regen, Wind in Sturmstärke und schlechte Sicht machen den Piloten zu schaffen. Irgendwo über Nordhessen ist kein Durchkommen mehr. Die Uhr-Flieger gehen kein Risiko ein und landen in Kassel-Calden (EDVK). Angesichts des Unwetters dürfen sie ihre Maschinen im Hangar unterstellen. Kein bisschen zu früh, denn kaum sind die ULs in Sicherheit, verdunkeln bizarre Gewitterwolken den Himmel.
Von einer Minute auf die nächste schüttet es wie aus Kübeln, und es hat nicht den Anschein, dass sich das Wetter so bald bessern wird. Per Taxi fahren die Tour-Teilnehmer in die Innenstadt, suchen sich ein Hotel und verbringen den langweiligsten Abend der gesamten Reise. Die aktuelle Wetterprognose verheißt für den Osten Deutschlands am nächsten Tag wenig Besserung. So fassen die enttäuschten Piloten den Entschluss, die Tour abzubrechen und am nächsten Tag nach Trier zurückzufliegen, immerhin soll das Wetter im westlichen Teil der Republik etwas besser werden. Aber eins ist klar: Den Flug nach Berlin holen sie nach.
Gut zwei Wochen später ist es soweit – bei gutem Wetter starten die Piloten zur letzten Etappe, im Formationsflug nach Berlin. Mit starkem Rückenwind erreichen sie den Flugplatz Schönhagen schon nach drei Stunden und 21 Minuten Flugzeit. In Berlin-Friedenau werden die Uhr-Flieger in einer ehemaligen Remise auf einem Hof in der Roennebergstraße empfangen. Askania-Firmenchef Leonhard Müller ist hier im Januar 2006 mit seiner Firma an den Start gegangen und hat dem traditionsreichen Namen neues Leben eingehaucht. Die ehemaligen Askania-Werke haben in Berlin und weit darüber hinaus Industriegeschichte geschrieben, in den zwanziger und dreißiger Jahren war der Hersteller von Präzisionsinstrumenten der größte Arbeitgeber Berlins.
Ohne die Instrumente von Askania kam praktisch keiner der großen Luftfahrt-Pioniere und Flugzeugbauer aus. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg war die Erfolgsgeschichte vorbei, Askania existierte nicht mehr. Eine Renaissance in zugegebenermaßen bescheidenem Umfang erlebte der Name mit der Gründung der Askania Uhrenmanufaktur, die ersten Fliegeruhrenmodelle wurden 2004 auf der Internationalen Luftfahrtausstellung ILA in Berlin vorgestellt. Sein Erbe hat auch das neue Werk nicht vergessen: In einem eigens eingerichteten Raum werden alte Exponate aufbewahrt, nicht nur Uhren, sondern auch Kameras – fast wie in einem Museum. Neben der gesamten aktuellen Kollektion konnten die Reisenden bei einer Führung durch die Werkstatt miterleben, wie ein Uhrwerk montiert wird.
Mit Gegenwind reicht im UL der Treibstoff nicht bis Trier
Den nächsten Tag verbringen die Uhr-Touristen in der Hauptstadt; Berlin-Kenner Herbert Theisen hat ein volles Programm mit Besuch im Deutschen Bundestag vorbereitet. Wieder einmal hat der Wetterbericht die Laune eingetrübt, eine schwere Gewitterfront aus dem Westen ist unterwegs. Keine guten Nachrichten für den Rückflug nach Trier.
Am Morgen starten die UL-Flieger bereits um sechs Uhr, um Trier noch vor Eintreffen des Unwetters zu erreichen. Doch bei heftigem Gegenwind ist schnell klar, dass der Treibstoff nicht bis zum Ziel reichen wird. So landen die Maschinen am späten Vormittag zu einem Zwischenstopp auf dem Flugplatz Gießen-Lützellinden und werden rasch betankt. Die Schlechtwetterfront kommt näher; kurz vor Schluss wird die Uhr-Tour noch einmal richtig ungemütlich. Den Heimatplatz schon im Blick werden die Piloten durch die Flugleiterin von EDRT vor starken Böen gewarnt, doch es passt – einmal mehr. Eine halbe Stunde später sind alle sechs Maschinen sicher gelandet. Was mit dichtem Nebel begann, endet mit einem heftigen Gewitter – ein typischer deutscher Sommer, doch mit vielen schönen Eindrücken.
Text: Michael Brückner, Fotos: Bernd Heller, Jürgen Poss, fliegermagazin 11/2012
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